Preis des Integrationsrates der Stadt Nürnberg
Laudatio von Steffen Radlmaier
Laudatio von Steffen Radlmaier
Preis des Integrationsrates der Stadt Nürnberg
Wenn es die Galerie Arauco nicht gäbe, man müsste sie glatt erfinden. Das kleine Haus am Trödelmarkt ist schmal wie ein Handtuch und bietet doch Platz für einen ganzen Kontinent. Für mich gehört es zu den größten Sehenswürdigkeiten in Nürnberg. Die Galerie Arauco ist mehr als ein Gemischtwarenladen für Kunst, Schmuck und Wein, sie ist ein kleines Kultur- und Kommunikationszentrum und Treffpunkt für Latin Lovers, das heißt für Lateinamerika-Liebhaber in Franken. Viele schauen hier einfach mal auf einen Espresso vorbei und erfahren hier alles, was sie schon immer über Lateinamerika wissen wollten, bisher aber nicht zu fragen wagten. Aber auch südamerikanische Künstler schätzen Arauco als kulturellen Außenposten in Deutschland. Ein Blick in die dicken Gästebücher beweist das.
Alejandro Franco, das Herz und die Seele von Arauco, hat mit Charme und Humor südamerikanische Lebensart und Lebensfreude in Nürnberg etabliert. Und er bringt mit entwaffnender Liebenswürdigkeit selbst dem widerwilligsten Franken bei, dass gute Laune auch bei schlechtem Wetter möglich ist. Ohne Leute wie ihn wäre es in Bratwurst-City kaum auszuhalten.
Aufgewachsen ist Alejandro mit zwei jüngeren Geschwistern in Chillán. Sein Vater war Polizeichef der Provinz Ñuble, die Mutter arbeitete als Musikprofessorin an der Universität von Concepción. Dort studierte Alejandro später Soziologie und Betriebswirtschaft.
Ähnlich wie in Europa herrschte Ende der 60er Jahre politische Aufbruchstimmung in Chile. Die jungen Idealisten glaubten, dass sie die Gesellschaft zum Besseren verändern könnten.
Im Herbst 1970 wurde der Sozialist Salvador Allende zum chilenischen Präsidenten gewählt. Der sozialistische Traum dauerte jedoch nicht lange. Denn die USA wollten um jeden Preis verhindern, dass dieses Beispiel in Lateinamerika Schule machte. Und mit Unterstützung der CIA gelang der Militärputsch von General Pinochet am 11. September 1973. Die Folgen waren dramatisch. Nicht nur Allende-Anhänger wurden verfolgt, sondern alle Andersdenkenden, allen voran linke Sympathisanten.
Auch Alejandro Franco, der in der Studentenbewegung aktiv war und sich politisch engagierte, kam ins Fadenkreuz der neuen Machthaber. Nach seinem Studium arbeitete er damals als Soziologe in der Personalabteilung eines großen Steinkohle-Konzerns. 1975 wurde er eines Tages aus heiterem Himmel vom Geheimdienst zu Hause abgeholt und verhaftet. Ein Bekannter hatte Alejandro unter Folter denunziert.
Als politischer Häftling wurde er zuerst in ein Konzentrationslager und dann in ein Zuchthaus verschleppt und erlebte einen Albtraum mit Folter und allen Schikanen. Details will ich Ihnen ersparen.
Mit viel Glück (und der Hilfe des kürzlich verstorbenen Pfarrers und Menschenrechtlers Heinz F. Dressel) gelang Alejandro die Flucht nach Deutschland. Vor genau 40 Jahren landete er als politischer Flüchtling in Düsseldorf - doch statt politisches Asyl zu beantragen, bemühte sich der Soziologe gleich um ein Promotionsstipendium und bekam an der Friedrich-Alexander-Universität eine Stelle. Seine Doktorarbeit hat er zwar nie abgeschlossen, aber bis heute unterrichtet er an der Wiso in Nürnberg als Spanisch-Dozent. Einen Ehrendoktor hätte er zweifellos verdient, wenn man seine Studenten fragt.
Alejandro ist das, was man politisch korrekt, aber gedankenlos „ein Mensch mit Migrationshintergrund“ nennt. Was für ein nichtssagender Begriff das ist, merkt man spätestens, wenn man den lebenslustigen, weltoffenen Mann aus Chile besser kennt, der in Nürnberg seine zweite Heimat gefunden hat. Mit dem Leben im Exil hat er sich arrangiert, ja, er ist geradezu ein Musterbeispiel für gelungene Integration. Seine Frau Annette, mit der er seit über 20 Jahren die Galerie Arauco betreibt, hat dazu ganz wesentlich beigetragen. Zu einer interkulturellen Beziehung gehören ja immer zwei. Jedenfalls sind die vier Kinder (Pablo, Leo, Aura und Emilio) die lebenden Beweise dafür, dass interkontinentale Kultur-Beziehungen eine enorme Bereicherung darstellen.
Gerade war die ganze Familie in Chile, um den 90. Geburtstag von Alejandros Mutter zu feiern. Sie kann stolz auf ihren Sohn sein, der es in Franken zum Sonderbotschafter Südamerikas gebracht hat und der trotz allem ein Optimist geblieben ist, der immer noch an das Gute im Menschen glaubt.
Steffen Radlmaier
Nürnberg, 6.10.17